Die zeitaufwendigste Reiseetappe (etwas über 12 Stunden), dabei die längste Zeit im Sattel (knapp 9 Stunden), die größte Tagesfahrleistung (über 350 Kilometer) und eine ordentliche körperliche Beanspruchung (ca. 200 Höhenmeter auf eine Strecke von knapp 2 Kilometern Fußweg auf Kopfsteinpflaster) – der 12. Reisetag kam mir nicht nur wie der längste Tag vor, er war es auch.
Nachdem am Vortag sämtliche geplante Badefreuden der Badewasserhygiene zum Opfer gefallen waren, hatte ich mir vorgenommen, der Empfehlung meines Gastgebers zu folgen, und den Sacro Monte di Varese – seit 2003 ein Weltkulturerbe der UNESCO – zu besichtigen, bevor ich meine Reise vespazierend fortsetzen würde.
Hier beginnt der Aufstieg auf den Sacro Monte di Varese
Zugegeben, ich hatte mich nicht wirklich vorbereitet, geschweige belesen darüber, was mich dort erwarten würde, sondern lediglich eine gute Stunde Aufenthalt (Vorfahren – Wegfahren – Glücklichsein!) auf die Agenda gesetzt.
Mein Nachtlager im Rustichetto lag ja bereits in der Via Prima Cappella, und so erreichte ich eben diese bereits nach fünfminütiger Fahrtzeit, parkte die Vespe unmittelbar davor und machte mich auf in meinem „Bikeroutfit“ auf, den Sacro Monte zu erklimmen. Der ersten Kapelle folgte die zweite, dann die dritte und die vierte. Der mit Kopfsteinen gepflasterte Weg war mit meinen TCX-Stiefeln nur beschwerlich zu begehen, und allmählich kam die Sonne stärker durch. Die fünfte, sechste und siebte Kapelle lagen hinter mir und der Schweiß begann zu rinnen.
Es muss wohl ungefähr die zehnte Kapelle gewesen sein, an der ich dann ein größere Atem- und Trinkpause einlegte. Da ich zwischenzeitlich ein paar Passanten nach der Gesamtzahl der Kapellen befragt hatte (14 Stück), wusste ich, dass das Ziel in Schlagweite kam.
Das Ziel in Sichtweite – Die Wallfahrtskirche auf dem Sacro Monte
Nach knapp einer Stunde schließlich hatte ich die Parrochia Santa Maria del Monte erreicht und ließ mich – ein wenig erschöpft – neben die anderen Pilger auf die Bank sinken. Eine zehnminütige Andacht, ein stilles Gebet und ein angemessener Obolus in den Kirchenkasten, schon lief es sich bergab viel leichter und in der halben Zeit.
Mit einem frischen T-Shirt (das vorherige war „bagnato fradicio“) ging’s dann in flotter Fahrt Richtung Schweizer Grenze. Beim Grenzübertritt wurde ich wohl ein Opfer meines inzwischen beträchtlich gesprossenen Reisebarts und musste bei den italienischen Grenzern wieder einmal Topcase und Kulturtasche blank ziehen.
Es folgte ein kurzes Fachgespräch über die Vespa, wobei sich die Grenzer erstaunt zeigten, keine 300er vor sich stehen zu haben, alldieweil Gianna doch „una bomba“ sei. Ich bedankte mich für die wohlmeinenden Worte und machte mich – vorbei an den Granitbrüchen von Osogna – auf in Richtung alte Gotthard-Straße.
Die Granitbrüche von Osogna im Tessin
Die Gotthardstraße von Biasca nach Altdorf lässt sich auch mit einer kleinen Vespe angenehm fahren, bietet jede Menge schöne Ausblicke und auf der Passhöhe von 2.106 Metern einen schönen Rastpunkt für die Mittagspause. Mann und Maschine werden hier allerdings nicht sonderlich gefordert, da die Nationalstraße A2 doch recht großzügig ausgebaut ist. Mir war’s in diesem Fall ganz recht, hatte ich doch noch einige Tageskilometer vor mir.
Auffahrt auf den Gotthardpass
Kurz nach der halbstündigen Mittagspause auf dem Passo del san Gottardo musste ich bereits wieder aus dem Sattel steigen, ergab sich doch mit den Teufelsbrücken über die Reuss in der Schöllenenschlucht das nächste beindruckende Fotomotiv. Auch etliche Reisegruppen legen hier einen kurzen Stopp ein, um über die verschiedenen Wege (u. a. auch an der Eisenbahnbrücke entlang) die Brücken in beiden Richtungen zu queren.
Die Teufelsbrücke über die Schöllenenschlucht
Am Luzerner See und Zuger See entlang erreichte ich schließlich am späten Nachmittag Zürich. Mitten in der Rushhour quälte ich mich – trotz italienischem Fahrstil – mühsam in einer knappen Stunde durch den Großraum Zürich und landete bei bereits einsetzender Dunkelheit in Schaffhausen. Um eine Unterkunft hatte ich mich ausnahmsweise im Vorfeld nicht gekümmert, und das sollte nun zum Problem werden, da mehrere befragte Hotels und Pensionen bereits voll belegt waren.
Mit telefonischer Unterstützung meiner Frau (ich hatte leider vorübergehend kein Datennetz), die ein chinesisches Hotel in Grenznähe, aber bereits auf deutschem Hoheitsgebiet, für mich klar machte, fand ich doch noch ein adäquates Nachtlager.
Tian Fu – Gastfreundschaft und Gastronomie auf hohem Niveau
Nach einer nochmals halbstündigen Vollgasfahrt durch die Dunkelheit zu dem chinesischen Hotel-Restaurant stellte sich vor Ort heraus, dass auch dieses bereits voll belegt war. Doch die Hotelbetreiber gewährten mir in ihren eigenen, privaten Räumen Unterschlupf im Wohnzimmer auf einer Gästecouch. Ein Bonus, den man vermutlich nur dann erhält, wenn man mit einer Chinesin verheiratet ist!
Das hervorragende Essen im Tian-Fu (Klick!) rundete einen anstrengenden Tag dann doch noch perfekt für mich ab.